RG, 08.03.1884 - V 369/83

Daten
Fall: 
Vollziehung des Arrestbefehles mittels Pfändung
Fundstellen: 
RGZ 11, 402
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.03.1884
Aktenzeichen: 
V 369/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Danzig
  • OLG Marienwerder

Wird durch Vollziehung des Arrestbefehles mittels Pfändung dem Arrestkläger Pfandrecht dann nicht erworben, wenn der nicht verkündete Arrestbefehl wohl dem Arrestbeklagten, aber nicht dem Arrestkläger zugestellt, diesem vielmehr einfach ausgereicht ist?

Tatbestand

S. erwirkte am 11. Juli 1882 wider seinen Schuldner W. nicht-verkündeten Arrestbefehl. Ausfertigung dieses Befehles, welcher ihm vom Gerichte nicht förmlich zugestellt war, ließ er am 12. Juli dess. Is. dem W. zustellen und tags darauf durch Pfändung stehender Früchte vollziehen. Bald danach ließ ein anderer Gläubiger des W., nämlich der Kläger Wi., dieselben Früchte im Vollstreckungswege pfänden. Der Erlös derselben war unzureichend zur Befriedigung beider Gläubiger. Der Teilungsplan wies die Masse dem S. als dem älteren Pfandgläubiger zu. Wi. widersprach und erhob wider S. Klage mit dem Antrage auf Auszahlung der Masse an ihn, den Wi.

Aus den Gründen

"Der Arrestbefehl des Amtsgerichtes Mewe vom 11. Juli 1882 ist dem Beklagten (Arrestkläger) von Amts wegen nicht zugestellt; wie er in seine Hände gelangt ist, steht noch nicht fest. Der Kläger behauptete, der Gerichtsvollzieher H. habe die Ausfertigung vom Gerichte geholt und dann die Zustellung an den Schuldner und Arrestbeklagten W. bewirkt; der Beklagte sagte: der Arrestbefehl sei seinem Prozeßbevollmächtigten (im Hauptprozesse wegen der 25000 M), Rechtsanwalt G., persönlich vom Amtsgerichte ausgehändigt und G. habe dann unter Ausreichung des Befehles mit der Zustellung und Vollziehung des letzteren den H. beauftragt.

Wegen sonach mangelnder formeller Zustellung an den Beklagten (Arrestkläger) leugnet der Kläger gültigen Arresttitel des Beklagten.

Beide Instanzrichter haben diesen Angriff verworfen; sie halten für das wesentliche, daß der Beklagte die Ausfertigung des Arrestbefehles vom Gerichte in der That erhalten hat, und daß die Zeitdaten (Arrestbefehl vom 11. Juli, Arrestvollzug am 13. Juli) ohne weiteres die Wahrung der Präklusivfrist des §. 809 Abs. 2 C.P.O. klarstellen.

Hierin ist ihnen beizutreten.

Vorfrage ist, ob der Kläger berechtigt ist, die nicht erfolgte förmliche Zustellung an den Beklagten zu rügen, oder ob diese Rüge nur dem Schuldner (Arrestbeklagten) W. zugestanden. Die erste Alternative ist zu Gunsten des Klägers zu bejahen. Der Kläger hat Pfandrecht an den Früchten erlangt und macht dasselbe gegen den angeblichen früheren Pfandnehmer geltend. Ist das Recht des letzteren von der Wirksamkeit der von ihm erlangten Arrestpfändung abhängig - wie unbestreitbar - und ist Voraussetzung dieser Wirksamkeit gehörige Zustellung des Arrestbefehles an den Arrestkläger - was streitig -, so darf der Kläger zur Abwehr des Pfandanspruches des Beklagten die mangelnde Zustellung opponieren, wenn schon der Schuldner die Arrestpfändung nicht beanstandet hat. Es hat auch der Kläger den Formmangel der gehörigen Zustellung an seinen Gegner nicht dadurch verwirkt, daß er ihn, wie annehmbar, in dem Termine zur Erklärung über den Teilungsplan (§§. 761. 762. 810 C.P.O.) nicht zur Sprache gebracht hat; jener Termin ist nicht Termin "zur mündlichen Verhandlung"; der Kläger that genug, als er gegen den Plan Widerspruch erhob; in dem nunmehr auf die Klage des Klägers (§. 764 C.P.O.) bestimmten ersten Termine zur mündlichen Verhandlung hat er den Zustellungsmangel gerügt (§. 267 C.P.O.).

Aber der beabsichtigte Erfolg muß der Rüge versagt werden.

Beschlüsse des Gerichtes müssen, um nach außen Bestand und Geltung zu erlangen, verkündet oder "den Parteien von Amts wegen zugestellt werden". So bestimmt der §. 294 C.P.O. Der am 11. Juli 1882 auf Antrag des Beklagten beschlossene Arrestbefehl ist nicht verkündet, ihm auch von Amts wegen nicht zugestellt; der Kläger scheint ihm also mit Recht nach außen hin Geltung, folgerecht der Arrestvollziehung rechtliche Wirksamkeit abzusprechen. Dieser Folgerung steht die Vorschrift des §. 802 Abs. 2 a. a. O. nicht entgegen. Denn letztere statuiert nur in Ansehung des Arrestbeklagten die Ausnahme, daß diesem nicht von Amts wegen zugestellt werden soll, läßt es aber in Ansehung des Arrestklägers bei der Regel. Aber der §. 294 a. a. O. hat nicht die absolute Tragweite, welche sein Wortlaut zu ergeben scheint. Es giebt Beschlüsse, die nicht "den Parteien", sondern von Amts wegen nur einer derselben zugestellt zu werden brauchen (vgl. z. B. §§. 452. 730. 802. 815 C.P.O.); und es ist unleugbar, daß es für manche Beschlüsse, z. B. für die Abweisung mancher Anträge, nicht der förmlichen Zustellung, sondern der einfachen Mitteilung von Amts wegen an den Antragsteller bedarf.1

Es kommt ferner die Bedeutung der förmlichen Zustellung im Verhältnisse zur einfachen Mitteilung in Betracht. Sie besteht in der Übergabe des auszureichenden Schriftstückes und in einer bestimmten Beurkundung dieses Aktes (§§. 156. 173. 174 C.P.O.). Sie soll die Thatsache und die Zeit der Übergabe sicherstellen, den von letzterer abhängigen Beginn des Fristenlaufes konstatieren und die in dieser Richtung im Prozeßverkehre unentbehrliche Fiktion des Empfanges ermöglichen. Die formelle Zustellung dient also zumeist dem Interesse - nicht des Empfängers, sondern seines die Zustellung betreibenden Gegners; der Empfänger, welchem zugestellt wird, damit gegen ihn die von der Zustellung abhängigen Parteirechte des Gegners wirksam werden, kann daher Mängel in der Zustellung an ihn rügen oder pardonnieren; in der Regel aber ist er nicht dabei interessiert, ob und wann der den Gegner wider ihn berechtigende Beschluß jenem förmlich zugestellt oder nur einfach mitgeteilt ist. So auch für den Fall des Arrestes: mangelndes Interesse versagt dem Arrestbeklagten, welchem der Arrestkläger die Ausfertigung des Arrestbefehles zustellen läßt, die Rüge, der Befehl sei dem Arrestkläger vom Gerichte einfach ausgereicht, anstatt förmlich zugestellt zu werden. Freilich läßt sich aufstellen: der Arrestkläger könne den Arrestbefehl eigenmächtig ohne den Willen des Gerichtsschreibers in seine Hand gebracht haben und nur die Zustellung eines mit der Abschrift der Zustellungsurkunde (§. 173 C.P.O.) versehenen Arrestbefehles stelle den Arrestaten dagegen sicher, daß ein zur Zustellung bestimmter, nicht mehr als Gerichtsinternum anzusehender Arrestbefehl ihm selber zugestellt werde. Allem zunächst sichert den Arrestbeklagten die Thatsache der Ausfertigung des Arrestbefehles, und sowenig Zustellung gegen Fälschungen schützen soll oder kann, so wenig ist ihr Zweck, Zustellungen möglicherweise entwendeter Schriftstücke zu verhüten. Für den Arrestbeklagten genügt, daß prima facie mit dem Willen des, keiner besonderen Beauftragung zur Ausreichung bedürfenden Gerichtsschreibers der Arrestant in den Besitz des ausgefertigten Arrestbefehles gelangt ist, und daß dem Arrestaten, wenn er Surreption beweisen kann, die Beweisführung freisteht.

Wichtiger scheint, daß die Zustellung an den Arrestkläger insofern auch für den Arrestbeklagten rechtsbegründend ist, als die Vollziehbarkeit eines Arrestbefehles zwei Wochen nach der Zustellung an den Arrestkläger erlischt (§. 309 Abs. 2 C.P.O.). Daraus mag allerdings folgen, daß Arrestvollziehung dann wirkungslos ist, wenn nicht aus den Zeitdaten die Innehaltung der Frist ohne weiteres erhellt. Diese Innehaltung aber liegt hier klar vor. Denn der Arrestbefehl ist am 11. Juli 1882 beschlossen und ausgefertigt, die Vollziehung aber geschah schon am 12. und 13. Juli desselben Jahres."

  • 1. Vgl. Herm. Meyer, Die Zustellung von Beschlüssen von Amts wegen S. 61.